Die Ethikkommission für Berufe in der Pflege veröffentlicht Anfragen, die ihr zur ethischen Beratung vorgelegt werden, sowie die von ihr erarbeiteten Antworten in anonymisierter Form. Vorausetzung dafür ist, dass von den anfragenden Personen bzw. Organisationen kein Widerspruch gegen die Veröffentlichung eingelegt wurde.

Beachtung von Patientenverfügungen bei Reanimation

Frage

Viele Bewohner haben eine Patientenverfügung mit dem Vermerk, dass keine Reanimation gewünscht ist. Sind wir als Pflegekräfte dazu aufgefordert, dennoch wiederzubeleben, bis der angeforderte Notarzt eintrifft oder sind wir dazu angehalten, dem Wunsch der Patientenverfügung nachzugehen und nicht zu reanimieren?

Beratung

Die Autonomie als Recht jedes Menschen, eine Behandlung zu akzeptieren oder abzulehnen, gilt auch für die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen.

Eine Reanimation ist nicht zu beginnen, wenn der ausdrückliche Wunsch der Bewohnerin oder des Bewohners dem entgegensteht. Jede Person, der dieser Wunsch bekannt ist, hat sich daran zu halten. Wiederbelebungsversuche sind zu unterlassen. Das betrifft sowohl die beruflich Pflegenden, als auch Angehörige und den angeforderten notärztlichen Dienst.

Wichtig ist, dass die Patientenverfügung eine eindeutige Willensbekundung im Hinblick auf die Reanimation enthält. Möglich ist auch, dass der zu beachtende Wunsch aufgrund von Gesprächen mit der betroffenen Person oder ihrer rechtlichen Vertretung bekannt ist.

Empfehlenswert ist eine geeignete Dokumentation, um im konkreten Einzelfall auch entsprechend dem Wunsch der Bewohnerinnen und Bewohner handeln zu können.

Berücksichtigung von Patient:innenwünschen bei möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Vorgaben (z.B. seitens Arbeitsgeber:in, Einrichtungsträger:in)

Frage

Wie kann mit Situationen umgegangen werden, in denen Pflegefachpersonen die Berücksichtigung des Wunsches von Pflegeempfänger*innen als moralisch geboten ansehen, daran jedoch durch eine (z.B. vom/von der Arbeitsgeber:in/Träger:in) angeführte Rechtsvorschrift gehindert werden? Wie können solche die Pflegefachpersonen oder auch das Verhältnis zur Leitungsebene belastenden Situationen im Team bearbeitet werden?

Beratung

Die Ethikkommission für Berufe in der Pflege möchte mit Blick auf diese Fragestellungen die folgenden Punkte zu bedenken geben:

  • Pflegehandlungen sind selbstverständlich an rechtliche Vorgaben gebunden. Die Existenz rechtlicher Vorgaben erübrigt jedoch nicht das ethische Abwägen von pflegerischen Handlungsmöglichkeiten im Einzelfall. Dies begründet sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass individuelle Wünsche von Pflegeempfänger*innen Respekt verdienen, unabhängig davon, wie sie motiviert sind/begründet werden. Das Bemühen, auf individuelle Wünsche von pflegerischer Seite her soweit wie möglich einzugehen, entspricht dem pflegerischen Berufsethos.
  • Bei Uneinigkeit im Team, wie mit dem Wunsch von Pflegeempfänger*innen im Lichte möglicherweise entgegenstehender rechtlicher Vorschriften umgegangen werden soll, ist eine gemeinsame Besprechung im Team oder mit den von einem Konflikt betroffenen Kolleg*innen zu empfehlen. Ziel einer solchen Besprechung ist es, sowohl die im Raum stehenden moralischen Positionen der von dem Konflikt betroffenen Personen, als auch die rechtliche/organisatorische Sachlage in den Blick zu nehmen und vor diesem Hintergrund zu einer begründeten Entscheidung, die von allen Beteiligten mitgetragen werden kann, zu gelangen. Zur Unterstützung einer solchen Besprechung im Team können vielleicht die folgenden Fragen hilfreich sein:

Klärung des Wunsches der Pflegeempfängerin/des Pflegeempfängers:

a)           Worin genau besteht der Wunsch?

b)           Wie wird der Wunsch begründet?

Klärung der Positionen im Pflegeteam:

a)           Wie stehen die Mitglieder des Pflegeteams zu dem geäußerten Wunsch?

b)           Was sind ihre Gründe, dem Wunsch der Pflegeempfängerin/des Pflegeempfängers zu entsprechen/nicht zu entsprechen?

c)           Was sind die Befürchtungen der von dem Konflikt betroffenen Mitarbeitenden, wenn sie dem Wunsch der Pflegeempfängerin/des Pflegeempfängers nachkommen/nicht nachkommen?

Klärung der rechtlichen Sachlage & organisationalen Rahmenbedingungen:

a)           Welche konkreten rechtlichen Vorschriften stehen dem geäußerten Wunsch einer Pflegeempfängerin/eines Pflegeempfängers entgegen?

b)           Ist bekannt, wie andere Einrichtungen/Institutionen mit der konkreten, in Frage stehenden Situation umgehen?

 Unterstützende Fragen zur Lösungsfindung im Team:

a)       Haben sich durch die Klärung der Sachlage alternative Handlungsoptionen aufgetan?

b)        Wie sind diese Handlungsoptionen mit Blick auf den Wunsch der Pflegeempfängerin/des Pflegeempfängers zu bewerten?

c)       Wie sind diese Handlungsoptionen mit Blick auf die geltenden Rechtsvorschriften zu bewerten?

d)       Lässt sich aus einer der im Raum stehenden Handlungsoptionen eine für alle Seiten tragbare Lösung ableiten?

e)       Wer ist konkret verantwortlich für die Umsetzung der gefundenen Lösung?

f)        Wer muss/soll über diese Lösung (zusätzlich) informiert werden?



Transpersonen ohne vollständig Transition – Zimmerbelegung im stationären Setting

Frage

Wie kann eine Zimmerbelegung von Transpersonen ohne vollständige Transition im stationären Setting erfolgen?

Beratung

Die Frage, wie eine Zimmerbelegung von Trans*Personen ohne vollständige Transition im stationären Setting umgesetzt werden kann, hat eine grundsätzliche ethische Dimension, da sie sowohl die Selbstbestimmung von Trans*Patient:innen als auch die anderer Patient*innen berührt. Vor dem Hintergrund, dass Pflegefachpersonen für die stationäre Bettenbelegung verantwortlich sind, ist Ihre Frage zudem von unmittelbarer pflegeethischer Bedeutung. So gilt es im Umgang mit dieser Situation, sowohl die Intimsphäre von Trans* Patient:innen, die noch keine Transition zu dem Geschlecht, mit dem sie sich identifizieren, durchlaufen haben, als auch die Intimsphäre anderer Patient:innen, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen anhand ihrer angeborenen Körpermerkmale zugeschrieben wurde, identifizieren (Cis*Patient:innen), zu wahren.

Grundsätzlich möchte die Ethikkommission für Berufe in der Pflege betonen, dass das Geschlecht, zu dem sich eine Person zugehörig fühlt und mit dem sie sich identifiziert, unbedingte Anerkennung im Pflegeprozess finden muss. Eine diversitätssensible Pflege, die die Wünsche von Patient*innen auch mit Blick auf ihre geschlechtliche Identität respektiert, ist Teil des pflegerischen Ethos, das die Achtung der Patientenautonomie als einen zentralen Wert beinhaltet. Der Suche nach einer die Autonomie von Trans* Personen respektierenden Lösung stehen gesetzliche Vorgaben nicht entgegen.

Um sowohl eine würdevolle stationäre Unterbringung von Trans*Patient:innen ohne vollständige Transition als auch von Cis*Patient:innnen sicherzustellen,empfiehlt die Ethikkommission für Berufe in der Pflege konkret folgende Maßnahmen:

  • Pflegefachpersonen kommunizieren offen, sowohl mit Trans*Patient:innen als auch mit den Patient:innen, mit denen diese. das Zimmer teilen würden. Dazu gehört es auch, Trans*Patient:innen auf mögliche Unsicherheiten (z. B. bezüglich der bevorzugten Anrede) anzusprechen und mit ihnen zu besprechen, ob sie lieber in einem Einzelzimmer untergebracht werden möchten. Eine der Identität der Trans*Person zuwiderlaufende geschlechtliche Zuordnung (z.B. durch eine nicht gewünschte Anrede oder eine Zimmerbelegung mit Patient:innen anderen Geschlechts als dem, mit dem sich die Trans*Person identifiziert) kann von diesen als traumatisch erlebt werden.
  • Falls Trans* Patient:innen eine Unterbringung im Einzelzimmer ablehnen, empfiehlt sich eine Besprechung im Pflegeteam über die Optionen einer gemeinsamen Zimmerbelegung. So könnte die Zusammenlegung mit einer anderen Trans*Patient:in mit gleicher geschlechtlicher Identität oder auch dieZusammenlegung mit einer Cis*Patient:in erwogen werden.
  • Vor diesem Hintergrund kann Trans*Patient:innen ein entsprechendes Angebot zu ihrer Unterbringung unterbreitet und ihre Zustimmung zu einer dieser Optionen erbeten werden.
  • Bevor eine gemeinsame Zimmerbelegung erfolgen kann, bedarf es immer auch der Zustimmung des/der anderen Patient:in.Die Bedürfnisse beider Patient:innen in Hinblick auf die Wahrung ihrer Intimsphäre sind zu erfragen und zu wahren (z.B. Benutzung eines Vorhangs zwischen den Betten).

Ergibt sich im Zuge einer gemeinsamen Zimmerbelegung von Trans*Patient:innen (die noch keine Transition zu dem Geschlecht, mit dem sie sich identifizieren, durchlaufen haben) und Cis*-Patient:innen, dass einer/eine der Patient:innen mit der Situation überfordert ist, sollte eine Verlegung ermöglicht werden.Dadurch können Trans*patient:innen vor (neuerlicher) Diskriminierung geschützt sowie die Intimsphäre und Wünsche der anderen Patient*innen geachtet werden

Da im Kontext der medizinischen und pflegerischen Versorgung von Trans*Patient:innen häufig Unsicherheiten im professionellen Team bestehen, empfiehlt die Ethikkommission für Berufe in der Pflege Niedersachsen Teamfortbildungen zu organisieren, um Unsicherheiten abzubauen und der Stigmatisierung und Diskriminierung von Trans*Personen vorzubeugen. Im Sinne eines professionellen Umgangs mit wiederkehrenden, als ethisch herausfordernd wahrgenommenen Situationen kann es zudem hilfreich sein, sich gemeinsam (auch unterstützt durch das Klinische Ethikkomitee) auf Verfahrensregeln und standardisierte Abläufe zu einigen, die für alle Mitglieder eines Arbeitsbereichs oder einer Einrichtung verbindlich sind.